Rede der Vorsitzenden der CDU-Fraktion der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe Eva Irrgang zum Haushalt 2024
es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Vorsitzender Baumann,
sehr geehrter Herr Dr. Lunemann,
sehr geehrte Frau Neyer,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,
wir leben in aufwühlenden Zeiten.
„Krisenmodus“ wurde kürzlich als Wort des Jahres gekürt. In den letzten Jahren hatten wir mit der Corona-Pandemie eine noch nie dagewesene Gesundheitskrise, es folgte der Angriff Russlands auf die Ukraine, kürzlich eskalierte der Gaza-Konflikt, wir haben eine Klimakrise, im letzten Winter einen Energienotstand, schwelende Konfliktherde in Taiwan, Syrien, Aserbaidschan, Zentralafrika, zunehmenden Protektionismus, Verschiebungen in der bestehenden Weltordnung. Auch unmittelbar in unserer Mitte gibt es verstörende Tendenzen, die nicht meinem europäischen Gesellschaftsbild entsprechen: in vielen deutschen Städten gehen Muslime auf die Straße und feiern die brutale Ermordung von Juden, antidemokratische Strukturen am linken und rechten Rand scheinen sich weiter zu etablieren und selbst hier im LWL wird bei politischen Anträgen zwischen Menschen mit weißer Hautfarbe und People of Colour unterschieden. Uns allen fallen sicherlich noch weitere Krisen ein, die das Bild der Multikrise vervollständigen würden.
Der Landesdirektor hat im letzten Jahr das Wort „Krisenknäul“ geprägt, ein schwer zu entflechtendes Gewirr, bei dem man nicht weiß, wo man anfangen soll. Zur allgemeinen Überraschung: Ich weiß es auch nicht!
Ich weiß nur, dass wir uns auf diese zunehmende Komplexität einstellen müssen, ihr ehrlich ins Auge schauen müssen. Wir werden uns auf hochnervöse Zeiten mit großen, nicht vorhersehbaren Schwankungen einstellen müssen: Nachdem wir in den letzten Jahren extrem gute Steuereinnahmen hatten, weist das aktuelle Gemeindefinanzierungsgesetz die schlechteste Entwicklung seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 auf. Nach Höhen kommen Tiefen – Aussicht ungewiss. Glaubt man den Wirtschaftsweisen, sind die Aussichten alles andere als rosig. Rote Laterne in Europa, Mini-Wachstum. Man kann nur hoffen, dass das eintritt, was man Volkswirten gemeinhin nachsagt: die Zukunft voraussagen können sie nicht, nur im Nachhinein erklären, warum ihre Prognosen falsch waren.
Meiner Überzeugung nach darf man bei der Gestaltung der Zukunft die Gegenwart nicht unbeachtet lassen – und dazu gehört dann auch, dass man die Erwartungen nicht ins Unermessliche treibt, Standards nicht nur nicht erhöht, sondern hinterfragt, die dauerhafte Finanzierbarkeit im Blick behält und vielleicht auch die eigenen Ansprüche einem Realitätscheck unterzieht:
ALLES – JETZT! – Dafür ist derzeit nicht die Zeit.
Und so zeichnet der vorliegende Haushalt 2024 mit einem Hebesatz von 17,35 %-Punkten auch eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Situation:
· Standards priorisieren und bewahren: Ja!
· Gestalten: Ja!
· Konsolidieren: Ja!
· Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit: Ja!
Für die diesjährigen Haushaltsberatungen lag uns bereits ein ehrlicher Haushalt vor, der deutlich machte, dass dem LWL die finanziellen Nöte und Sorgen der Kreise, kreisfreien Städte und kreisangehörigen Gemeinden in Westfalen-Lippe bewusst sind. Insbesondere das direkte Auskehren der Überschüsse des aktuellen Bewirtschaftungsjahres im kommenden Haushaltsplan ist vorbildlich.
Und dieser Kurs wurde bekanntermaßen bis zuletzt durchgehalten. So wurden bis zur sprichwörtlich letzten Minute die Entwicklungen des Haushaltsjahres ermittelt und die Verbesserungen mit einem Änderungsvorschlag der Verwaltung weitergegeben.
Dieser Umgang ändert natürlich nichts daran, dass wir mit einem enormen finanziellen Mehrbedarf konfrontiert sind. Der Vorsitzende des Finanz- und Wirtschaftsausschusses, Dr. Zwicker, hatte uns die Zahlen ja bereits vorgestellt: 331,6 Mio. EUR, davon rd. 270 Mio. EUR über die Landschaftsumlage. Eine fast unvorstellbare Größenordnung. Es drängt sich schnell die Frage auf: Worin liegt diese Entwicklung begründet? Und ich verkürze mal die Antwort: Weil wir uns gemeinsam dazu bekannt haben, Tariflöhne zu zahlen. Und das ist auch gut so! Der von den kommunalen Spitzenverbänden mitgetragene und unterzeichnete Landesrahmen sieht eine unmittelbare Weitergabe der Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst an die Wohlfahrtsverbände vor. In einem Jahr mit rd. 11 % Tarifwirkung natürlich eine enorme Belastung für die kommunalen Haushalte; beim LWL sind rund 85 % der über 3,8 Mrd. EUR im Bereich der Sozial- und Eingliederungshilfe unmittelbar tarifgebunden.
Diesen Entwicklungen ist selbstverständlich wenig entgegenzusetzen. So viel Realismus sollte jeder hier in der Landschaftsversammlung mitbringen. Gleichwohl heißt das nicht, dass man nicht steuern müsste. Und so nimmt man einen durchaus erfrischenden Wind aus unserem Sozialdezernat wahr: das Ziel, Hilfebedarfe im Sinne von Mensch und Mitgliedskörperschaft zu steuern, wurde zuletzt intensiv hier in den LWL-Gremien diskutiert (Vorlage 15/1816: Steuerung der Eingliederungshilfe). Hier wird es in Zukunft darauf ankommen, den Weg für den LWL weiter auszudifferenzieren. Ich bin mir sicher, dass die daraus resultierenden Diskussionen viel Kraft kosten werden – aber ich bin mir ebenso sicher, dass die Diskussionen lohnenswert sind!
Ein Beispiel für diesen Diskussionsprozess ist auch das Projekt „Aufbruch“, welches im Sommer in die LWL-Gremien eingebracht wurde:
· 10 % weniger Werkstattbeschäftigte in den Werkstätten für behinderte Menschen,
· 10 % weniger arbeitslose Menschen mit Behinderung,
· eine Steigerung der Quote von Menschen mit Behinderung in der LWL-Belegschaft auf 10 %.
Diese Zielvorgaben darf man durchaus als ambitioniert bezeichnen. Als CDU glauben wir daran, dass dies mit den richtigen Instrumenten funktionieren kann. Das zeigen nicht zuletzt die erfreulichen Entwicklungen in unserem LWL-Inklusionsamt Arbeit, bei dem die Dynamik der Fallzahlsteigerungen scheinbar gebrochen ist und immer mehr Übergänge auf den ersten Arbeitsmarkt erreicht werden. Hier ist der LWL sogar absoluter Spitzenreiter bei den Trägern der Eingliederungshilfe.
Mit unserem Antrag unterstreichen wir, dass wir an diesen Weg glauben – auf der anderen Seite fordern wir aber auch ein, uns als Politik mitzunehmen, auf Sicht zu fahren und uns regelmäßig über die Ergebnisse des Programms zu unterrichten.
Dieses konkrete Beispiel zeigt, dass eine schwierige Haushaltssituation nicht nur zum Nachteil der Menschen sein muss, sondern aus ihr auch etwas Zukunftsweisendes entstehen kann. Früher hätte man wohl gesagt: Aus der Not eine Tugend machen!
Exemplarisch steht dafür auch unser gemeinsamer Antrag mit der Fraktion Bündnis90/Die Grünen zur Optimierung der Strukturen am Jugendhof Vlotho. Die Initiative wird es ermöglichen, den Jugendhof nachhaltig zu stärken, wirtschaftlicher zu führen und auf Dauer zu erhalten.
Dass sich Konsolidierung und Gestaltung nicht zwangsläufig ausschließen, sondern beides mit entsprechender strategischer Priorisierung und Fokussierung möglich ist, sieht man auch an unseren Anträgen zum Mobilitätsfonds und der Inklusionsmesse. In beiden Bereichen haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, etablierte Instrumente zu stärken, statt Doppelstrukturen zu schaffen, wie es mit einem Mitmenschen-Tag zweifellos gekommen wäre. Ein Nebeneffekt ist zudem eine Einsparung von über 300.000 EUR.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sie entnehmen meinen Ausführungen, dass nach unserer Auffassung Mäßigung und Priorisierung die Maßgaben der Stunde sind. Und so werden wir auch im Invest- und Baubereich einen klaren Fokus setzen: Wir brauchen nicht immer „höher, schneller, weiter“! Sanieren statt neu bauen, punktuelle Erweiterungen und Weiterentwicklungen, die mit den priorisierten Bauprogrammen beschlossen werden, sind sinnvoll und helfen insbesondere dabei, den LWL fachlich und die Liegenschaften energetisch weiterzuentwickeln. Und insofern danke ich der Verwaltung für die Initiative, dieses komplexe Thema durch eine neue Bausteuerung zu forcieren: weniger Bürokratie, bessere Priorisierung, mehr Transparenz und Steuerung. Hohe Erwartungshaltungen, die wir in den kommenden Jahren erproben werden und von denen wir als CDU auch absolut überzeugt sind!
Dazu gehört entsprechend auch, das Thema Desksharing voranzutreiben. Die Wirtschaftlichkeitspotentiale hat das Konsolidierungsprogramm aufgezeigt. Eine Reduzierung der benötigten Büroarbeitsplätze um 30 % ist sportlich, aber in der heutigen Zeit sicherlich nicht unrealistisch. Wir nehmen unsere Erste Landesrätin und Kämmerin bei der Zielsetzung gerne beim Wort! Neubauten im Verwaltungsbereich sind mit diesem formulierten Potential jedenfalls erstmal in weite Ferne gerückt.
Um was für einen Kraftakt es sich bei der Konsolidierung eines 4,4 Mrd. EUR-Haushaltes handelt, zeigt auch der Umstand, dass das vorliegende Konsolidierungsprogramm den gesamten „Konzern LWL“ in den Fokus nimmt und nicht nur den klassischen, umlagefinanzierten Kernhaushalt. So betrachten wir hier auch die Möglichkeiten, die sich im Bereich unseres Bau- und Liegenschaftsbetriebs, der WLV, der Sozialstiftung und des PsychiatrieVerbunds ergeben. Vermeintlich könnte man sagen, dass es sich um das beliebte „linke Tasche, rechte Tasche“-Spiel handelt; nimmt man aber exemplarisch den PsychiatrieVerbund und die Lastenverteilung zum Denkmalschutz, zeigt sich, dass diese Metapher nicht greift: ordnungspolitisch sind Land und Krankenkassen in der Finanzierungsverpflichtung, nicht die kommunale Familie!
Sie können sich vorstellen, dass keiner von uns sich diese Entscheidungen leichtgemacht hat. Deswegen möchte ich an dieser Stelle zum einen unseren Sprechern und Verhandlungsführern der einzelnen Facharbeitskreise danken, zum anderen unserem Koalitionspartner; es waren intensive Diskussionen, wir haben hart in der Sache gerungen, aber stets unter der Prämisse, gemeinsam Verantwortung für den LWL zu übernehmen und das nicht nur im Jetzt, sondern auch nachhaltig in den kommenden Jahren.
Diese Haltung verdeutlicht sich auch in unserem Antrag zum Hebesatz. Uns war es dabei wichtig, dass wir diesen mit harten Einsparmaßnahmen hinterlegen und nicht auf Kosten der Zukunft durch Haushalts-Tricks. Es ist eben nicht damit getan, einfach zu sagen, dass man alles einfach so lässt, die Konsolidierungsvorschläge ablehnt und den Haushalt einfach über bilanzielle Buchungstricks verbessert.
Irgendwann muss man die Zeche ohnehin zahlen. Und hier sind wir schon in einer weiteren Vorbelastung von 73 Mio. EUR. Das klappt auf Bundesebene nicht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist Ihnen bekannt, und hier ist eine solche Politik mit uns als CDU nicht zu machen!
Bei allen „Konsolidierungsbestrebungen und -erfolgen“ haben die Diskussionen in diesem Jahr auch eins gezeigt: Die Möglichkeiten sind endlich! Wir diskutieren in jedem Jahr um 0,1% oder 0,2%-Punkte Hebesatz, die wir vielleicht noch mal aus der Zitrone rausquetschen können oder die vermeintliche richtige Höhe der Ausgleichsrücklage, ob 50, 90 oder 130 Mio. EUR.
Wir haben hier im vergangenen Jahr eine Resolution verabschiedet, die mit Blick auf die Kostenentwicklung der Eingliederungshilfe und die generelle Finanzausstattung unserer kommunalen Familie klare Erwartungshaltungen adressiert.
Unser Eindruck: Das Land hat durchaus zugehört und trotz einer schwierigen Finanzlage Unterstützungen zugesagt, insbesondere im Bereich der Flüchtlingsfinanzierung. Im Bund sind diese Worte noch nicht ganz so angekommen. Zu wenig Geld, zu viele Extra-Wünsche müssen im Koalitionsgeplänkel erfüllt werden, Wählergruppen müssen bedient werden, zu hohe Standards. Das kann nicht funktionieren, wenn man der Bundesrepublik in vielen Bereichen durch zaudernde Wirtschaftspolitik schon erfolgreich die rote Laterne in der EU verschafft hat. Verantwortungsvolle, ganzheitliche und nachhaltige Politik sieht anders aus. Deswegen möchte an dieser Stelle auch noch einmal unsere Erwartungshaltung als CDU bestärken und eine dauerhaft dynamische Finanzierung durch Bund, Land im Bereich der Eingliederungshilfe einfordern. Denn es kann schließlich nicht sein, dass diejenigen, die auf gesetzlicher Grundlage die Kostenschraube nach oben drehen, die finanziellen Auswirkungen nicht zu spüren bekommen.
Aber – und so viel ist auch klar: Verantwortung übernehmen fängt immer bei einem selbst an. Diese Selbstverpflichtung muss auch für uns im Westfalenparlament greifen! Deswegen sind auch wir gefordert, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Der Beschluss einen Doppelhaushalt 2025/2026 zu verabschieden, bedeutet für uns auch die Möglichkeit, Planungssicherheit zu schaffen. Dies gilt es zu nutzen und der 16. Landschaftsversammlung keine allzu große Hypothek aufzubürden! Deswegen sollten wir uns auch für das kommende Haushaltsjahr die Entscheidungen und Diskussionen nicht zu leichtmachen. Beim Austarieren des Spannungsverhältnisses von Standards und finanziellen Folgen in der Eingliederungshilfe haben wir noch einen weiten Weg vor uns, der uns viel Kraft abverlangen wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Müller, ich bin mir sicher, dass unsere Fraktionen sich dieser enormen Verantwortung bewusst sind und wir auch im kommenden Jahr wieder auf der Suche sind – nicht nach den einfachsten, sondern nach den besten Lösungen, für die Menschen und für Westfalen-Lippe.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.